In einer kleinen Werkshalle im Istanbuler Stadtteil Gaziosmanpaşa schneiden Arbeiter Metallrohre. Funken fliegen durch die Luft, während syrische Popmusik aus dem Radio tönt. Diese Szene ist mehr als nur ein alltäglicher Arbeitstag – sie zeigt, wie wichtig syrische Flüchtlinge für die türkische Wirtschaft geworden sind.
Die Türkei ist seit über einem Jahrzehnt Zufluchtsort für Millionen Syrer, die vor Krieg und Gewalt flohen. Viele von ihnen haben sich ein neues Leben aufgebaut, doch aktuell stehen viele vor einer schwierigen Entscheidung: Sollen sie bleiben oder in ihr Heimatland zurückkehren?
Syrer gründen Unternehmen in der Türkei
Mohammed Idris ist einer dieser Menschen. Er stammt aus der syrischen Stadt Idlib und hat in seiner Heimat englische Literatur studiert. Als 2011 der Krieg in Syrien begann, floh er mit seiner Familie in die Türkei. Zuerst gründete er eine Exportfirma. Heute betreibt er gemeinsam mit seinen Brüdern eine Möbelfabrik in Istanbul.
„Wir wollten unsere Möbel nicht nur exportieren, sondern auch selbst herstellen“, sagt Idris. Nach vielen Besuchen in türkischen Fabriken gründeten sie 2020 mit einem Startkapital von 100.000 Dollar ihr eigenes Unternehmen. Heute exportieren sie ihre Produkte in viele Länder – unter anderem nach Russland, Europa und in arabische Staaten.
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Türkische Wirtschaft profitiert von syrischen Arbeitern
Der türkische Unternehmer Selcuk Yesiltarla arbeitet eng mit Idris zusammen. Er veredelt die Metallteile aus der syrischen Fabrik und färbt sie in Gold, Chrom oder Schwarz. In seinem Betrieb beschäftigt er 20 Arbeiter – die Hälfte davon sind Syrer.
„Die Syrer arbeiten fleißig. Unsere jungen Leute wollen diese Jobs nicht machen“, sagt Yesiltarla. Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit in der Türkei hoch, doch viele junge Menschen bevorzugen bessere Jobs mit mehr Ansehen.
In vielen Bereichen – etwa in der Landwirtschaft, in Textilfabriken oder im Bau – sind syrische Arbeiter inzwischen unverzichtbar. Ohne sie, so sagen Unternehmer, würde die Wirtschaft zusammenbrechen.
Die Stimmung in der Bevölkerung kippt
Trotz ihrer Leistungen stoßen viele Syrer inzwischen auf Ablehnung. Vor allem rechtsextreme Gruppen machen Stimmung gegen sie. In mehreren Städten kam es in den letzten Jahren zu gewalttätigen Angriffen. Dabei wurden syrische Geschäfte zerstört und Flüchtlinge verletzt.
Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung fordert inzwischen, dass die Flüchtlinge zurückkehren sollen. Offiziellen Angaben zufolge sind in den letzten acht Jahren über 900.000 Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt. Doch wie viele davon freiwillig gingen, bleibt unklar.
Seit dem Sturz des syrischen Machthabers Bashar al-Assad im Dezember 2024 hat sich die Rückkehrwelle verstärkt. Allein seitdem haben laut Innenministerium über 175.000 Syrer die Türkei verlassen. Insgesamt sank die Zahl der syrischen Flüchtlinge von über 3,6 Millionen auf rund 2,8 Millionen.
Rückkehr oder Neubeginn?
In der Fabrik von Idris sind von 18 Arbeitern nur noch sechs geblieben. Die anderen sind zurück nach Syrien gegangen – oft aus Sehnsucht nach der Familie oder weil sie sich in der Türkei keine Zukunft mehr leisten können. Doch viele bleiben auch, weil sie Syrien weiterhin als unsicher empfinden.
Nermin, 30 Jahre alt, betreibt ein kleines Reisebüro in Istanbul. „Syrien ist noch nicht stabil“, sagt sie. „Es gibt dort keine Arbeit, keine Versorgung und keine Sicherheit.“ Auch Mohammed al-Halebi, der als Verkäufer arbeitet, will vorerst nicht zurück. „Hier habe ich Strom, Wasser und Internet. In Syrien gibt es das alles nicht“, sagt er.
Unsichere Zukunft für syrische Unternehmer
Trotz seiner Investitionen von über 600.000 Dollar hat Mohammed Idris keinen dauerhaften Aufenthaltstitel. „Unsere Aufenthaltsgenehmigung muss jedes Jahr erneuert werden. Die Regierung kann uns jederzeit abschieben“, sagt er. Zusätzlich machen ihm die steigenden Miet- und Lohnkosten in der Türkei zu schaffen. Auch der Krieg in Gaza wirkt sich negativ auf seinen Exportmarkt aus.
Einer seiner Brüder erkundet derzeit, ob ein Fabrikneubau in Syrien möglich wäre. Doch Idris bleibt skeptisch. Die politische Lage sei zu unsicher. „Wir wissen nicht, was morgen passiert“, sagt er.