Die geplanten EU-Regeln für Künstliche Intelligenz (KI) stehen unter massivem Druck. Große US-Technologiekonzerne und die Regierung der Vereinigten Staaten haben ihre Einwände deutlich gemacht. In einem offiziellen Schreiben an die EU-Kommission lehnt die US-Vertretung den geplanten KI-Kodex ab. Die Kritik: Der europäische Regulierungsrahmen behindere Innovation und schade der Wirtschaft.
Einfluss durch Lobbyismus und geschlossene Treffen
Ein Bericht der Organisationen Corporate Europe Observatory (CEO) und LobbyControl zeigt, wie stark der Einfluss großer Tech-Firmen auf den Entwurf des Kodex ist. Laut ihrer Analyse hatten Konzerne wie Google, Amazon und OpenAI frühzeitigen Zugang zu wichtigen Entscheidungen.
Insgesamt 15 Unternehmen nahmen an privaten Sitzungen mit den Arbeitsgruppenleitern der Kommission teil. Diese exklusiven Gespräche waren für viele andere Beteiligte, darunter kleinere Unternehmen und zivilgesellschaftliche Gruppen, nicht zugänglich.
Wettbewerbsfähigkeit statt Sicherheit?
Laut CEO-Forscher Bram Vranken bevorzugt die EU-Kommission bei der Ausarbeitung des KI-Kodex wirtschaftliche Interessen. “Die Priorität liegt klar auf Wettbewerbsfähigkeit”, so Vranken. “Das öffnet Tür und Tor für aggressive Lobbyarbeit und schwächt den Schutz vor schädlicher KI.”
Auch Verlage und Urheberrechtsorganisationen schlagen Alarm. Sie befürchten, dass der Kodex den Schutz geistigen Eigentums untergräbt. Der derzeitige Entwurf lasse wichtige Schutzmechanismen vermissen, heißt es aus Branchenkreisen.
Zivilgesellschaft mit geringem Einfluss
Im September 2024 beauftragte die EU-Kommission 13 Expertinnen und Experten mit dem Entwurf des KI-Kodex. Sie organisierten Workshops und Plenarsitzungen mit rund 1.000 Teilnehmenden. Doch laut CEO und LobbyControl war der Zugang nicht gleich verteilt.
Große Technologiekonzerne erhielten mehr Einflussmöglichkeiten als kleinere Organisationen. Viele Vertreter der Zivilgesellschaft durften lediglich über die Online-Plattform SLIDO abstimmen – per Emoji-Voting. Eine echte Mitbestimmung war nicht vorgesehen.
Die Folge: Ein unausgewogenes Regelwerk, das den ursprünglichen Zielen nicht mehr gerecht wird. Dabei war der Kodex einst dazu gedacht, die Risiken von mächtigen KI-Systemen zu begrenzen.
USA kritisieren EU-Kurs
Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump hat sich klar gegen den Kurs der EU positioniert. In einem Schreiben an die Kommission bezeichnete sie den Regulierungsansatz als „innovationsfeindlich“ und „wirtschaftlich hemmend“. Ein Sprecher der Kommission bestätigte den Eingang des Schreibens, wollte sich aber nicht zu möglichen Auswirkungen äußern.
Veröffentlichung verschoben
Eigentlich wollte die EU den KI-Kodex samt Leitlinien Anfang Mai 2025 veröffentlichen. Doch nun ist klar: Die Veröffentlichung verzögert sich. Laut internen Quellen wird ein neuer Termin frühestens im Juni 2025 erwartet.
In einer laufenden Konsultation zu den GPAI-Leitlinien (Guidelines for the Promotion of Artificial Intelligence) kündigte die EU-Kommission beide Veröffentlichungen für das zweite Quartal 2025 an.
Ruf nach mehr Transparenz
Immer mehr Stimmen fordern jetzt mehr Offenheit und Fairness im Entstehungsprozess. Der Einfluss großer Konzerne dürfe nicht länger überwiegen. „Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen gleich behandelt werden“, betonen Kritiker.
Der wachsende Druck aus Politik und Öffentlichkeit könnte die Kommission zwingen, den Prozess neu zu überdenken. Die Frage bleibt: Wie viel Einfluss darf die Tech-Branche auf Regeln nehmen, die sie selbst betreffen?
Der EU-Kodex für Künstliche Intelligenz ist zum Zankapfel geworden. Während Konzerne und Regierungen wirtschaftliche Freiheiten betonen, warnen Experten vor schwacher Regulierung und Intransparenz. Die nächsten Monate dürften entscheidend dafür sein, ob Europa beim Thema KI als Vorreiter oder Getriebener dasteht.