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Wie pflegende Angehörige von der Politik vergessen werden

by Frankfurter Handelsblatt
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Wie pflegende Angehörige von der Politik vergessen werden

Millionen pflegende Angehörige kämpfen mit Herausforderungen – Politik bleibt Lösungen schuldig

Berlin – In Deutschland werden rund vier Millionen Pflegebedürftige von ihren Angehörigen betreut. Dies stellt viele vor große finanzielle und berufliche Probleme. Trotz politischer Debatten fehlen konkrete Lösungen, die den Alltag dieser Menschen erleichtern.

Vor vier Jahren stand die Berliner Ärztin Marie F. vor einer schweren Entscheidung: Ihre Mutter wurde plötzlich pflegebedürftig. Einen teuren Pflegedienst konnte sie sich nicht leisten, also übernahm sie selbst die Betreuung. Eine Situation, die viele Deutsche betrifft, denn die Mehrheit der Pflegebedürftigen wird zuhause von Angehörigen versorgt.

Pflegebedürftige in Deutschland: Die wachsende Herausforderung

Laut Statistischem Bundesamt waren 2023 rund sechs Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Fast 70 Prozent wurden von Angehörigen betreut. Eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Alterssurveys zeigt, dass die meisten dieser pflegenden Angehörigen zwischen 43 und 65 Jahre alt sind. Viele arbeiten nur in Teilzeit oder gar nicht, weil die Pflege zu viel Zeit beansprucht.

Mit dem demografischen Wandel wird sich dieses Problem weiter verschärfen. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2050 etwa 6,7 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig sein werden. Gleichzeitig herrscht ein erheblicher Fachkräftemangel in der Pflegebranche. Pflegebedürftige warten oft bis zu anderthalb Jahre auf einen Platz im Heim – eine Lücke, die Angehörige füllen müssen.

Politische Lösungen bleiben unzureichend

CDU-Chef Friedrich Merz hat angekündigt, die Pflegeversicherung zu reformieren. Sein Plan: Eine verpflichtende private Pflegezusatzversicherung soll die Kosten für Heimpflege senken. Doch häusliche Pflege bleibt in diesem Konzept unberücksichtigt. Auch die SPD schlägt zwar mehr Beratungsangebote und Lohnersatzleistungen vor, doch konkrete Lösungen fehlen weiterhin.

Pflege und Beruf: Ein kaum lösbares Dilemma

Pflegende Angehörige sind oft gezwungen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder den Beruf ganz aufzugeben. Besonders Frauen trifft dies hart: Sie übernehmen laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung doppelt so häufig Pflegeaufgaben wie Männer. Viele arbeiten ohnehin bereits in Teilzeit, was langfristig zu geringen Rentenansprüchen führt. 21 Prozent der Frauen über 65 Jahren sind laut Institut der deutschen Wirtschaft bereits heute armutsgefährdet.

Gleichzeitig fehlen Fachkräfte in Branchen, in denen Frauen dominieren – etwa im Gesundheits- oder Bildungsbereich. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten unter Frauen lag 2023 bereits bei 50 Prozent.

Finanzielle Unterstützung bleibt ungenutzt

Pflegende Angehörige können Pflegegeld zwischen 350 und 990 Euro pro Monat erhalten. Doch laut Deutscher Alterssurvey nehmen 95,7 Prozent der Berechtigten diese Unterstützung nicht in Anspruch. Gründe sind fehlende Informationen, bürokratische Hürden oder Angst vor beruflichen Nachteilen. Nur 1,2 Prozent der Befragten nutzten die Möglichkeit einer bis zu 24-monatigen Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz.

Dringender Handlungsbedarf für die Politik

Soziologin Ulrike Ehrlich vom Deutschen Zentrum für Altersfragen fordert flexiblere Arbeitszeitmodelle, um Pflege und Beruf besser vereinbaren zu können. Auch Männer müssten stärker in die Pflege eingebunden werden, um die Last gerechter zu verteilen.

Marie F. bringt das Problem auf den Punkt: „Bei der Pflege meiner Mutter fühlte ich mich völlig alleingelassen.“ Eine Erfahrung, die viele pflegende Angehörige teilen.

Mehr zum Thema Pflegefinanzierung und Heimplätze lesen Sie auf Frankfurter Handelsblatt.

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